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Andacht zur Jahreslosung

14.12.2022

© Verlag am Birnbach - Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

„Guck mal, was ich kann!“


Die Erzieherin schaut, wie der kleine Junge tollkühn vom Klettergerüst springt. Danach strahlt das Kita-Kind über das ganze Gesicht. Seine Erzieherin hat ihn gesehen! 


Nicht nur Kinder blühen dann auf, wenn jemand bemerkt, wieviel Überwindung und Herzklopfen es für so manchen „Sprung“ im Leben braucht. Auch uns Erwachsenen tut es gut, wenn uns der einfühlsame Blick eines anderen wahrnimmt. Besonders in Momenten höchster Anspannung brauchen wir einen aufmunternden Blick.

 

Umgekehrt: Wie weh kann es tun, wenn lange Zeit niemand bemerkt, wie es uns eigentlich geht. Wenn sich zum Beispiel etliche Familien momentan völlig allein gelassen fühlen, weil die steigenden Preise an der Supermarktkasse und der Zapfsäule ihre finanziellen Möglichkeiten weit übersteigen. Oder wenn die alleinlebende ältere Dame eine Menschenseele bräuchte, weil sie sich seit Corona völlig zurückgezogen hat. 


Die Jahreslosung für 2023 trägt in solche dunklen Momente ein Licht. Sie will unsere Angst vertreiben und unsere Sorgen kleiner machen. „Du bist ein Gott, der mich sieht“, lautet sie. Es sind Worte, die aus einem tiefen und irgendwie wehrlosen Staunen geboren werden. Eine Sklavin namens Hagar spricht sie aus, nachdem sie vor dem schwelenden Streit mit Abraham und seiner Frau Sarah in die Wüste geflohen ist. Für menschliche Augen war sie damit quasi unsichtbar in diesem lebensbedrohlichen Gelände. Aber Gott geht ihrer Spur nach, folgt ihr behutsam bis an die Orte ihrer größten Einsamkeit. Gerade dort nun, wo niemand mehr mit Gott rechnet, erfährt diese verstörte junge Frau, dass Gott sie nicht allein lässt. Er schaut auf sie – nicht mit dem unbeteiligten Blick eines Zuschauers oder dem überheblichen Blick des Stärkeren. Er sieht ihr tief ins Herz. Sein beharrlicher Blick nimmt liebevoll den ganzen Schmerz wahr, den sie seit Langem in sich trägt.

 

Dass Gott ihre Not sieht, das lässt hoffen, dass er auch den schreienden Schmerz vieler Menschen heute in den Blick nimmt. Weil er mehr überblickt als wir, wächst in mir eine Zuversicht, die ich eigentlich nicht erklären kann. Selbst die täglichen fast apokalyptischen Nachrichten büßen einiges von ihrer Wucht ein, wenn ich mir klarmache, dass Gott sehr wohl das unfassbare Unheil aus Menschenhand registriert - aber dass er das unschuldige Leiden der Opfer dieses Bösen selbst mit erleidet. 


So wie er Hagar sieht, schaut Gott mit seinem liebevollen Blick auch in unsere einsamsten und hilflosesten Momente. Unter Gottes aufmerksamem Blick; dürfen wir darum mutig und voller Vertrauen Schritte ins Offene gehen und hoffen, dass Frieden wird. 


Ich grüße Sie herzlich als
Superintendent
Peter-Thomas Stuberg

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